Freitag, 30. März 2012

4. Blackout im Kopierraum


Frustriert schleppte ich mich nach diesem Erlebnis mit Herrn Sigurd zu meinem Schreibtisch in der Ecke. Damit ich nicht zu heulen anfing, begann ich, die gelben Durchschläge zu sortieren, die sich während meines Urlaubs angesammelt hatten. Das half ein bisschen. Nach zwei Stunden war Herr Sigurd immer noch nicht da und ich schlenderte in Atelier 1, wo Herr Burg und Herr Mücke, der Kreativdirektor und sein Grafiker-Assistent, immer einen lustigen und aufmunternden Spruch parat hatten. Doch auch das Atelier war leer. Unschlüssig streifte ich um die großen Tische herum und beäugte die bunten Stifte, Pinsel und Reinzeichnungsklingen. Während ich mit einer solchen Klinge ein bisschen Schmutz unter meinen Fingernägeln hervorkratzte, vernahm ich plötzlich ein Geräusch, das sich wie Schnarchen anhörte. Darauf konnte ich mir nun überhaupt keinen Reim machen. Ich drehte mich um und sah zur Tür, aber dort stand kein Kollege, der mir einen Streich spielen wollte. Neugierig sah ich mich in jeder Ecke um, doch ich konnte die Schnarchquelle nicht entdecken. Bis ich mich dazu herabließ, unter einen der großen Tische zu sehen.

Mir blieb die Spucke weg: Dort lag ja Herr Burg! Er hatte sich wie ein Baby zusammengekauert und sabberte aus den Mundwinkeln. Ich wollte gerade laut „Hilfe!“ schreien, als ich einen seltsam vertrauten Geruch wahrnahm. Den Geruch von hochprozentigem Alkohol. Und das um elf Uhr morgens! Ich drehte mich angewidert auf dem Absatz um und verließ den Sündenpfuhl in Richtung Chefsekretariat, um Frau Held davon zu unterrichten. Auf dem Weg zum Chefsekretariat kam ich am Kopierraum vorbei, aus dem heiteres Gemurmel tönte. Wer in der Werbung was werden will, muss neugierig sein, deshalb lugte ich neugierig in den winzigen Kopierraum. Die Tür ging nur einen kleinen Spalt auf, weil sich dort offenbar viele Menschen versammelt hatten. Kaum hatte ich meinen Kopf hineingesteckt, packte mich auch schon Herr Sigurd am Ärmel, zog mich hinein und schloss dann wieder die Tür. Etwa die halbe Agentur, so schien es, hatte sich im Kopierraum versammelt. Wir standen eng gedrängt nebeneinander, wie morgens im Berufsverkehr in der U-Bahn.

„Naaa, Stift, auch mal Zwetschgenschnaps probieren?“, fragte mich jemand. „Ist guuuut“, lallte ein anderer, und schon hatte ich ein Wasserglas mit einer glasklaren Flüssigkeit in der Hand. Der Schnaps schmeckte wirklich nicht schlecht, und weil ich das zugab, musste ich anschließend noch Mirabellenschnaps, Birnenschnaps und Kirschschnaps probieren. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern.

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